Von der Idee zum Produkt in den Weltraum: Maximilian Strixner von The Exploration Company über enge Zeitpläne und unendliche Weiten

Fabian Diehr und Nico Klinger im Gespräch mit Maximilian Strixner

Wir waren zu Besuch bei The Exploration Company in Planegg bei München, einem Raumfahrt-Start-up, das ehrgeizige Ziele verfolgt, beispielsweise den Weltraum für neue Geschäftsmodelle zu erschließen. Maximilian Strixner, verantwortlich für den Bereich Additive Fertigung, berichtet, wie das Unternehmen den Orbit zugänglich machen will und sich mit rasanten Entwicklungsprozessen als Schlüsselspieler im neuen «Space Race» positioniert.

Maximilian, ihr versteht euch als ein europäisches «New Space»-Start-up. Was genau ist der Inhalt eurer Arbeit?
Wir entwickeln Raumfahrzeuge, mit denen wir den Zugang zum Weltraum demokratisieren wollen, ihn also unabhängig von der Trägerrakete ermöglichen möchten. Damit sind wir Teil einer neuen Bewegung, die immer mehr an Fahrt gewinnt. Früher war die Raumfahrt komplett verstaatlicht: Programme wie die Apollo-Mission in den 60er-Jahren wurden ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanziert. Das hatte Vorteile wie langfristige Stabilität und Planungssicherheit, aber auch Nachteile wie langsame Entscheidungsprozesse, politische Einflussnahme und administrative Zwänge. 

Dann kam Space X …
Ja, angetrieben von Elon Musks Raketen gibt es nun einen Ansturm aus dem privaten Sektor, der wirtschaftlich motiviert ist und daher flexibler, risikofreudiger, effizienter und schneller agieren kann und muss. Das gibt dem Ganzen eine völlig andere Dynamik und schafft Raum für neue Wirtschaftszweige wie Infrastrukturaufbau, Rohstoffgewinnung, Tourismus oder Logistik. All diese Bereiche wollen wir langfristig erschließen. Da die Entwicklung aber sehr kostenintensiv ist und wir bisher auf private Investoren angewiesen sind, konzentrieren wir uns zunächst auf die Technologien, mit denen wir am schnellsten neue Geschäftsfelder erschließen und eigene Umsätze generieren können. Konkret ist das in unserem Fall der Transport von Fracht. 

Mit Augenzwinkern habt ihr es auch schon mal so formuliert, dass The Exploration Company der Paketdienst des Weltraums werden möchte. Ein Zustellservice im Orbit - wie kann man sich das vorstellen? 
Unser Flaggschiffprojekt, die Raumkapsel Nyx, wird in der Lage sein, Fracht im Weltraum von A nach B und wieder zurück zur Erde zu transportieren. Sie kann auf der Erde mit rund 4 t beladen und dann mit jeder schweren Trägerrakete der Welt in den erdnahen Orbit und darüber hinaus befördert werden. Von dem Ort, an dem sie abgesetzt wird, kann sie autonom z. B. Raumstationen wie die ISS anfliegen, andocken und ihre Ladung abliefern. Dort kann auch neue Fracht mit einem Gewicht von bis zu 3 t für den Rücktransport zur Erde geladen werden – die bisher größte «Abwärtsmasse» in der Raumfahrt. In Folgeprojekten werden wir auch die Möglichkeit untersuchen, die Kapsel im Orbit wieder aufzutanken. 

Wie kommt die Kapsel wieder auf die Erde? Ist sie wiederverwendbar?
Nyx landet sicher in einem Gewässer und wird von uns geborgen. Bis auf einzelne Komponenten wie den Hitzeschild, der durch die atmosphärische Reibung kontrolliert verglüht, ist das gesamte Kapsel-System auf Wiederverwendbarkeit ausgelegt. Das ist nicht nur ökologisch nachhaltiger, sondern auch wirtschaftlicher. Da unsere Kapsel mit einem Leergewicht von 8 t deutlich kleiner und leichter ist als vergleichbare Raumfahrzeuge, senken wir zudem die Initialkosten für den Start. Unsere Missionen werden daher um 25 bis 50 Prozent günstiger sein als die anderer Raumfahrtunternehmen. Zumindest in diesem frühen Stadium sprechen wir aber immer noch von rund 150 Millionen US-Dollar pro «Rundreise», also von der Erde in den Orbit und zurück. 

Das ist dann doch etwas mehr als beim Paketversand auf der Erde … An wen richtet sich das Angebot? 
Dadurch, dass wir den freien Markt bedienen, können im Prinzip alle mit uns fliegen, die es sich leisten können. Und die Liste ist länger und vielfältiger als man denkt: Da sind zunächst einmal die Raumstationen selbst. Neben der ISS und der chinesischen Tiangong 3 entstehen derzeit in privaten Projekten sechs bis acht weitere für die Erdumlaufbahn und zwei für den Mondorbit. Wir können helfen, hier die Versorgung dieser Stationen sicherzustellen und zuverlässig aufrechtzuerhalten – sei es mit Nachschub, wissenschaftlicher Ausrüstung oder Wartungs- und Reparaturmaterial. Auch können wir z. B. Forschungsergebnisse oder Proben aufnehmen und zur Erde zurückbringen. Darüber hinaus hat die Kapsel noch eine zweite Einsatzmöglichkeit als «fliegendes Labor» im Orbit. Dieses Angebot richtet sich an Forschungsinstitute und Unternehmen aus der Pharma- und Biotechindustrie, die im Weltraum Experimente unter Mikrogravitationsbedingungen durchführen wollen. Beispielsweise verhält sich das Zellwachstum in der Schwerelosigkeit ganz anders als auf der Erde, was der Krebsforschung neue Möglichkeiten eröffnet. Auch Unternehmen aus dem Bereich der Produktentwicklung wollen mit uns fliegen, um unter diesen besonderen Bedingungen, die sich beispielsweise auf das Kristallwachstum auswirken, neue Materialien zu entwickeln und zu testen. 

Etwas abstrakter betrachtet, bieten eure Kapseln auch eine einzigartige Möglichkeit für Produktplatzierung und Öffentlichkeitsarbeit. 
Ja, das hat Elon Musk eindrucksvoll bewiesen, als er medienwirksam einen Tesla Roadster ins All schoss. So etwas polarisiert natürlich. Zudem konzipieren wir unsere Transportkapseln heute schon bewusst so, dass auch Menschen in ihnen reisen könnten – man darf nicht vergessen: Für Personen hat Europa zurzeit keinen eigenen Zugang zum Weltraum. Doch das ist nicht so trivial. Man kann nicht einfach Sitze in eine Kapsel bauen und sagen «los geht’s». Für die bemannte Raumfahrt sind umfängliche Tests und Zertifizierungen nötig.

Deine Stellenbezeichnung lautet «Additive Manufacturing Engineer» – welches sind deine Aufgaben im Unternehmen?
Ich mache eigentlich alles, was mit 3D-Druck zu tun hat, zurzeit kümmere ich mich insbesondere um die Triebwerksprototypen der Mondlandungskapsel, die wir gerade entwickeln. Damit wollen wir Fracht zum zukünftigen «Lunar Gateway» befördern, auf der Mondoberfläche landen und uns dort auch bewegen. Dabei stehe ich in engem Kontakt mit den Leuten vom Propulsion-Team, die das Triebwerk ursprünglich entwickelt haben. Ich berate bei der Auswahl der zu verwendenden Materialien, der benötigten Maschinen und der sonstigen Ausstattung unserer Fertigungsfläche. Außerdem bin ich für die Festlegung der Prozess­para­meter und die Applikation, also den eigentlichen Druck, verantwortlich. Kurzum: Ich bin von der Konstruktion der Triebwerke bis zum Praxistest an der Entstehung unserer Antriebe beteiligt.

Eure Triebwerke sehen teilweise wie gewachsen aus. Wie werden die Geometrien konstruiert?
Wir arbeiten herkömmlich mit CAD-Modellen, beschäftigen uns  aber auch in einem Nebenprojekt mit Algorithmic Engineering. Diese generativen Konstruktionsauslegungen finde ich hoch­inter­essant. Das ist noch keine KI, jedoch werden hier per Software anhand definierter Anforderungen parametrisch optimierte Entwurfsvarianten erstellt. Dabei werden Produkteigenschaften wie Bauraumgröße, Materialeigenschaften, Wandstärken etc. im Code hinterlegt. Möchte man etwas ändern – z. B. 2 kN mehr Schub –, ändert man nur die Variablen und der Algorithmus passt die Konstruktion selbstständig an. So entstehen Modelle mit organischen Strukturen.

… die sich wiederum mit generativen Fertigungsmethoden ideal herstellen lassen.
Richtig. Der 3D-Druck gibt uns die Freiheit, solche komplexen Geometrien zu realisieren und die Bauteile allein unter dem
Gesichtspunkt einer optimalen Temperaturregulierung und mechanischen Belastbarkeit zu gestalten. Müssten wir hier bohren, fräsen oder erodieren, wären solche optimierten Triebwerke kaum herzustellen – zumindest nicht wirtschaftlich. Früher wurden solche strömungsoptimierten Formen noch langwierig galvanisch auf Wachskernen aufgebaut, beispielsweise auch noch bei der Ariane 5.

Welches sind die Herausforderungen bei der Temperatur­regelung?
In der Raumfahrt ist eine regenerative Kühlung der Brennkammern üblich. Dazu verwenden wir Bio-Methan – nicht nur als Treibstoff, sondern auch als Kühlmittel. Es fließt erst durch dünne Kanäle innerhalb der Kontur, umströmt die Brennkammer, kühlt sie dabei, fließt in sie hinein und wird dann mit flüssigem Sauerstoff vermischt und gezündet. Unser Kühlsystem lässt sich per 3D-Druck also nicht nur konturfolgend, sondern auch platzsparend umsetzen. 

Im Werkzeugbau ist bei der Temperierung von Spritzgusswerkzeugen auch die aus dem 3D-Druck entstandene unebene Oberfläche durchaus erwünscht, um Verwirbe­lungen des Mediums zu erreichen
Das ist bei uns ebenfalls ein wichtiger Punkt: Wir haben fest­gestellt, dass diese Mikroverwirbelungen zwar dazu führen, dass wir im Vergleich zu glatten Oberflächen mehr Leistung benötigen, um den Treibstoff durchs Aggregat zu pumpen, gleichzeitig dadurch aber auch ein höherer Wärmetransfer stattfindet. 

Und – wie überall bei der Additiven Fertigung muss nur dort Material eingesetzt werden, wo es strukturell notwendig ist
Klar, in der Raumfahrt dreht sich alles um die Nutzlastkapazität. Jedes Kilogramm, das wir zusätzlich als Fracht in der Druckumgebung der Kapsel in den Orbit bringen können, ist 25 000 US-Dollar wert – außerhalb der Druckumgebung, also im nicht wiederverwertbaren Servicemodul, immerhin noch 20 000 US-Dollar. Wir sind also sehr darauf bedacht, das Gewicht unserer Kapseln zu optimieren. Der wichtigste Faktor, bei dem uns der 3D-Druck in der aktuellen Phase unserer Unternehmensentwicklung hilft, ist jedoch Zeit. Denn wir müssen unseren Investoren greifbare Ergebnisse präsentieren. Mit herkömmlichen Methoden würde der Bau eines einzigen Prototyps Monate dauern. So durchlaufen wir den Fertigungsprozess in wenigen Tagen.

Aus welchem Material und mit welcher Maschine baut ihr eure Brennkammern auf?
Zurzeit verwenden wir die Nickel-Chrom-Legierung Inconel 718. Dieser Werkstoff hat einen hohen Reifegrad für den 3D-Druck und zeichnet sich durch eine sehr gute Alterungsbeständigkeit sowie Zug-, Hitze- und Bruchfestigkeit aus. Die Brennkammern unserer Triebwerke messen zurzeit rund 300 mm im Durchmesser und 400 mm in der Höhe – daher haben wir die Trumpf TruPrint 3000 im Einsatz, die mit ihrem Bauraumvolumen hier ideal passt. 

Was passiert nach dem Druck? 
Die Nachbearbeitung ist recht aufwendig – das ist der Nachteil von additiv gefertigten Teilen. Zuerst wird das Bauteil per Draht von der Stahlplattform erodiert, gereinigt, dann per CT geprüft – auch, ob alle Pulverreste entfernt wurden – und die Flanschflächen werden plangefräst. Anschließend stellen wir die Ka­näle für die Sensorik per EDM her. Für die Thermofühler be­nötigen wir beispielsweise winzige Durchführungen von 0,2 mm Durchmesser mit über 50 mm Länge. Diese lassen sich mit dem 3D-Drucker oder per Mikrobohrer nicht zuverlässig herstellen. 

Werden die Bauteile auch wärmebehandelt?
Ja, und sie erhalten testweise auch eine hitzeabschirmende
Beschichtung, um die Kühlung des Triebwerks zu unterstützen. Denn der Schmelzpunkt von Inconel 718 liegt bei 1200 °C, während wir in der Brennkammer rund 2500 °C erreichen. Wenn dann alles mit der Peripherie ausgestattet und angeschlossen ist, geht’s auf den Prüfstand, um zu sehen, ob wir alles richtig gemacht haben. Wir kontrollieren, ob die Temperatur- und Druckverhältnisse mit unseren Simulationen übereinstimmen, schauen, wo Verbesserungspotenzial ist, und ggf. beginnt der ganze Pro­zess wieder von vorn. Für das Mondtriebwerk sind wir gerade in der dritten Iterationsschleife.

Und wann geht es in den Weltraum? 
Wir sind schon dort. Oder besser gesagt: Wir sind es unfrei­willig noch immer. Unser erstes, kleinmaßstäbliches Modellprojekt, die «Nyx Bikini», flog im Juli mit der Jungfernmission der Ariane 6 ins All. Mit der nur 40 kg schweren und 60 cm durchmessenden Kapsel wollten wir den ballistischen Wieder­eintritt in die Atmosphäre demonstrieren. Nach einem per­fekten Start und erfolgreichem Eintritt in die Erdumlaufbahn schaltete sich ein Hilfsaggregat ab, was letztendlich die Prozedur des kontrollierten Wiedereintritts der Stufe in die Atmosphäre ebenso abbrach wie die Freigabe unserer Kapsel. Ariane und Bikini fliegen also weiter gemeinsam im Orbit und werden das wohl auch noch einige Jahre tun. 

Solange wollt ihr bestimmt nicht warten – welches sind eure weiteren Schritte?
Wir stehen schon in den Startlöchern für die nächste Demon­stration: Mission Possible, unser zweiter Prototyp, soll schon 2025 gemeinsam mit einer Falcon-9-Trägerrakete von Space X abheben. Mit einem Durchmesser von 2,5 m und einem Gewicht von rund 2 t ist sie deutlich größer als die Nyx Bikini. Sie verfügt über ca. 300 kg Nutzlast, die bereits vollständig ausgebucht ist. Nach hoffentlich erfolgreicher Landung und Bergung der Mission-Possible-Kapsel wollen wir 2028 dann unseren ersten offiziellen Jungfernflug mit der Nyx Earth in Originalgröße durchführen. Parallel dazu arbeiten wir weiter an unserem Modell für Mondmissionen. Auch hier sind in naher Zukunft Tests geplant. Drückt uns die Daumen!

Das machen wir, viel Erfolg! | 

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